Wer Desmond O’Briens Unterricht folgt, bekommt oft das Gefühl, als ob sich das Pferd mit ihm zu einer konspirativen Gemeinschaft verbündet um dem Reitschüler gemeinsam zu helfen seine Befangenheit, Automatismen und Gedanken abzulegen und einfach nur die Bewegung zu spüren. Gelingt das, strahlt der Reiter und das Pferd dankt es mit freieren Bewegungen, mehr Ausstrahlung und zufriedenem Abschnauben.
„War das schwer?“ ist die rhetorische Standardfrage, die am Ende einer solchen Übung steht. „Ja das war schwer“ müsste eigentlich die Antwort heißen, denn das was Desmond O’Brien für leicht hält, ist für einen „Normalreiter“ nicht so einfach wie für ein ehemaliges Mitglied der Spanischen.
Wir wollten wissen was Desmond O’Brien mit den Pferden verbindet und wie er diese Beziehung in seinem Unterricht nutzt.
Desmond live gibt es im Filmtrailer, das ganze Interview steht im folgenden Text.
Wie bist Du eigentlich zu den Pferden gekommen?
Als ich 12 Jahre alt war, zogen auf dem Hof meiner Großeltern vorübergehend drei Pferde ein. Als Sie dann wieder zurück in ihren neu gebauten Stall gingen, bin ich einfach mitgegangen.
Von den Besitzern der Pferde habe ich alle Grundlagen gelernt, wie man es führt, putzt, ausmistet. Schließlich haben sie mich zuerst an die Longe genommen, dann sind wir dressurmäßig geritten, gesprungen und schließlich auch ins Gelände gegangen – ich hatte also eine ganz normale Reitausbildung.
Nach eineinhalb Jahren fragten sie mich, ob ich ihren Schülern nicht auch beibringen könnte, wie man ein Pferd putzt, führt, sattelt und aufzäumt. Schließlich habe ich auch angefangen die Anfänger zu longieren, zuerst unter Aufsicht und später auch alleine. So bin ich da langsam ins Unterrichten hineingewachsen. Ich habe immer geschaut, dass nichts passiert, immer ganz langsam und ruhig gearbeitet. Ich kannte ja die Pferde und wusste, was sie können.
Wie kamst Du dann an die Spanische Hofreitschule in Wien?
Das war Zufall. Jeden Nachmittag nach der Schule war ich bei den Pferden. Darunter hat die Schule natürlich gelitten und ich hätte eine Nachprüfung machen müssen. In den Sommerferien hatten wir aber ein Turnier am Reitstall und ich war ziemlich eingespannt. Also habe ich beschlossen die Klasse noch einmal zu machen, als der Stallbesitzer mich fragte, ob ich denn nicht an die Spanische wolle.
„Die werden auf mich warten“, war meine Antwort. Er hat dann da angerufen und zufällig war Brigadier Albrecht am Telefon, ein Mann der schlecht nein sagen konnte. So durfte ich mich vorstellen. Nachdem ich auch die richtige Größe und die richtigen Proportionen hatte, wurde ich genommen, da war ich sechzehn Jahre alt. In der Spanischen habe ich dann eigentlich das gleiche noch einmal gelernt, nur perfekter.
Ich habe zum Beispiel die Fußfolgen des Pferdes in allen Gangarten gelernt: wenn der rechte Hinterfuß des Pferdes abfußt, sinkt beim Reiter der rechte Beckenknochen ein…
Das wiederholst du immer wieder. Ich kann mir also gar nicht vorstellen, dass jemand auf dem Pferd sitzt und das nicht spürt.
Das heißt Du musst dann auch nicht mehr nachdenken…
…für mich ist es, wie wenn Du einen Bleistift in die Hand nimmst. Du nimmst ihn einfach und machst. Beim Autofahren ist es dasselbe, schalten, kuppeln, bremsen wird zum Reflex.
Gab es auch ein Pferd, zu dem du eine spezielle Beziehung gehabt hast?
Ja, da gab es den F. Dubovina (Favory Dubovina Anm. d. Red.), das Pferd, das mich zum Bereiteranwärter gemacht hat. Das war einfach ein Professor, der ist alle Gänge und Touren gegangen, in einer Perfektion – der konnte einfach alles. Mit dem bin ich auch am Samstag bei der öffentliche Vorführung geritten. Du setzt dich einfach in einer bestimmten Art und Weise hin und der reagiert und der macht…
Vor dem hast du einfach Respekt, weil er ein Professor ist und du behandelst ihn entsprechend. Er wurde dann krank, er hatte Probleme mit dem Herz und kam in die Klinik. Ich habe ihn regelmäßig besucht. Weil er sein Futter nicht richtig gefressen hat, habe ich ihm ein Mash mitgebracht, mit Ei und Honig gemischt. Er hat nicht einmal mehr richtig gehen können. Wir sind dann gemütlich die Stallgasse rauf und runter gegangen, dann sind wir rausgegangen in die Sonne, wie so zwei alte Herren mit Stock und Pantoffeln. Dann habe ich angefangen mit ihm auf der Vorführbahn auf und ab zu gehen, schließlich sind wir sogar getrabt, dann etwas flotter getrabt und der Tierarzt ist vorbeigekommen, hat den Kopf geschüttelt und hat gemeint „Das ist ein altes Pferd, was willst Du damit…“ Und dann sind wir so richtig losgetrabt, da hab ich ganz schön laufen müssen!
Er ist dann wieder an die Spanische zurückgekommen, obwohl der Tierarzt ihn eigentlich nicht transportieren lassen wollte, weil er Angst hatte, dass er das nicht überlebt. Einige Zeit später kam der Tierarzt zu Besuch, ich war gerade mit F. Dubovina in der Reitbahn, wir machten Einerwechsel auf dem Zirkel und er zeigte sehr ausdrucksvolle Passagen. Der Tierarzt hatte gemeint, wenn man sich vielleicht irgendwann einmal wieder draufsetzen könnte, wäre das schon ein Geschenk gewesen, aber diese Entwicklung hätte er sich nicht vorstellen können. F. Dubovina war einfach ein Professor zu dem ich einen guten Draht hatte.
Glaubst du, dass er es brauchte, sich zu präsentieren und dass ihm das noch einmal einen Schub gegeben hat?
Ja, denn jedes Pferd ist eine Persönlichkeit, an der Spanischen auf jeden Fall, weil das dort gefördert wird. Wenn du zum Beispiel ein altes Pferd hast, du bist beim Ausmisten und der steht da und döst, dann lässt du ihn nicht zur Seite gehen sondern gehst um ihn herum und sammelst den Mist auf. Das ist der Respekt, den man ihm entgegenbringt.
Es gab einmal einen Versuch, die alten Pferde nach Lainz zu stellen. Da waren zwei neue Pfleger, die hatten keine richtige Beziehung zu den Pferden und haben nicht mit ihnen geredet. Drei Wochen später habe ich die Pferde besucht. Der Braune hatte ganz weiße Haare im Gesicht bekommen und die Pferde waren total apathisch, weil sie keine Ansprache bekommen hatten. Kurz danach sind sie dann wieder an die Spanische zurückgekommen. Jetzt gehen die alten Pferde zurück nach Piber, da weiß man was sie geleistet haben und sie werden auch entsprechend respektvoll behandelt.
Es gibt viele Pferde zu denen ich eine Beziehung gehabt habe. Mit dem einen arbeitest du zusammen wie in einem Team. Mit dem kommst du vielleicht nicht ganz eng zusammen, aber du kannst arbeiten miteinander. Dann hast du einen Kamerad, das ist schon eine Stufe höher, das macht dann um einiges mehr Spaß und dann gibt es vereinzelt auch eine Freundschaft. Das ist selten. Ich hab das schon drei-, viermal erlebt und das finde ich toll. Wenn du das einmal in deinem Leben hast ist das schon genial, wenn Du das ein zweites oder drittes Mal hast, gehörst du eh schon zu den ganz Glücklichen.
Die meisten Leute kommen mit ihren Pferden ja gar nicht so eng zusammen…
…da sind sie selber Schuld. Sie sagen ein Pferd ist eben ein Pferd, aber das ist eben nicht so. Das sind genauso Persönlichkeiten, wie Menschen auch.
In deinem Unterricht versuchst Du ja den Spaß bei den Reitern und Pferden zu wecken, du hast ja auch zu Hause eine Galoppbahn und lässt es mal krachen…
… ja das knattert dann schon ordentlich (lacht)…
Bei mir hat das Pferd die Priorität und beim Unterrichten bin ich nicht der Lehrer, sondern nur der Dolmetscher.
Der Reiter geht ja von sich aus und sagt „Ich will das machen“, das Pferd will das aber möglicherweise nicht. Im Kurs lernt mich das Pferd zum Beispiel gerade erst kennen und fragt sich, warum es jetzt mit mir arbeiten soll, es wäre mit seinen Kumpels auf der Koppel viel besser dran. Also muss ich dem Pferd jetzt helfen, ich muss ihm gegenüber fair sein und es muss Spaß haben. Wenn es Spaß hat, habe auch ich Spaß und wenn wir Zwei Spaß haben, hat der Pferdebesitzer auch Spaß – das ist die Priorität!
Und wenn der Besitzer eine bestimmte Lektion reiten will und das Pferd ist noch nicht so weit, dann hat er Pech gehabt, dann muss er zu einem anderen Dolmetscher gehen oder ein wenig warten.
Das Pferd muss ja motiviert sein, sonst kommt ja nichts dabei heraus…
… ja genau und manchmal steht man im Zirkel und das Pferd läuft um einen herum und schaut dich an und sagt: „Bitte, bitte, nimm sie runter…“. Am Ende der Einheit kommt es dann herein, stellt sich ganz nah zu dir hin und sagt: „Kumpel, du hast sie abgestellt, ich hab wirklich arbeiten können, das war toll, danke!“ Das siehst du, das spürst du, sie haben dann so ein tolles Auge…
Wenn zum Beispiel ein Reiter unsicher ist und Angst hat zu galoppieren. Dann bereitest du das Pferd vor, schaust mal, wie es drauf ist, wie es reagiert und dann bringst du das Pferd in eine Position, in der es gut angaloppieren könnte. Den Reiter manipulierst du ein wenig (schnalzt) und dann galoppiert das Pferd. Aus – brav – loben. Das machst du dann dreimal und dann ist der Schock meistens schon überwunden.
Natürlich kann es zum Beispiel bei der Piaffe passieren, du sagst „Brav!“, das Pferd bleibt sofort stehen und der Reiter reitet noch ein paar Tritte weiter… Irgendwann passt das dann schon zusammen und am Ende vom Kurs gibst du das Pferd ja wieder dem Reiter zurück.
Es ist ein Zusammenspiel, ohne das geht es nicht. Das Pferd gibt dem Reiter ein Gefühl. Ich kann dem Pferd helfen eine bestimmte Lektion gut auszuführen und dieses Gefühl muss der Schüler übernehmen. Das kann er dann selber immer wieder abrufen.
Schickst du den Pferden ein Bild, zum Beispiel für den Bergaufgalopp?
Ja, aber ich gehe nicht hin und sage dem Pferd: „Hallo Du bekommst jetzt ein Bild von mir“, sondern ich stelle mir vor, wie dieses Pferd jetzt ausschauen würde, wenn es bergauf galoppiert, und stelle mir genau vor, wie sich das anfühlt. Dann ergibt das eine das andere…
Der Reiter bekommt das Gefühl vom Pferd und das Gefühl kann er sich merken. Und dann galoppierst du später noch einmal und sagst „Kannst du dich noch erinnern, wie wir gerade vorher galoppiert sind“ und das war es schon.
Oder das Pferd trabt zu flach, der Reiter bemüht sich, aber es ändert sich nichts. Dann gibst du ihm das Bild von Cavalettistangen, die im optimalen Abstand am Boden liegen. Dann soll sich der Reiter vorstellen, dass sie etwas höher sind und enger liegen. Das wars, keine technische Anweisung, nur ein Bild. Bei 90 bis 95 Prozent der Reiter funktioniert das genial.
Wie bist Du darauf gekommen?
Du erklärst jemanden etwas und die Basis, das Verständnis ist einfach nicht da. In deiner Verzweiflung nimmst du diese Bilder und du merkst es geht. Und beim nächsten Mal reicht die Erinnerung an diese Bilder, um das Pferd und den Reiter zu beeinflussen. Das sind Umwege, es gibt einige Umwege beim Reiten, aber es gibt keine Abkürzungen und es gibt auch viele Sackgassen.
An der Spanischen ist man ja auch umgeben von anspruchsvoller Reiterei und das prägt sicher auch die Bilder, die man hat…
Ja, selbst wenn du gerade nicht reitest, bist du ja den ganzen Tag dort und schaust ja eigentlich auch den ganzen Tag zu. Das sind ja alles Leute die reiten können und du bekommst diese positiven Bilder. Mit der Zeit fängst du an immer mehr Details zu sehen, du lernst ja nie aus. Reiten lernst du in einem Leben sicher nicht, also schaust du wie weit du kommst. Das ist auf der einen Seite deprimierend, auf der anderen Seite ist es so, dass das aber auch kein anderer schafft.
Wir haben die Theorie, dass richtiges Reiten so wie es im Buch steht, eigentlich gar nicht möglich ist. Es ist doch eher wie du sagst, man müsste eigentlich zwei oder drei Leben geritten sein…
…so wie im Buch bekommt man das schon hin, aber in einem Buch die Ausstrahlung zu beschreiben, das ist schon schwer, das fühlst du aber beim Reiten hin und wieder. Aber das heißt auch noch lange nicht, dass du reiten kannst. Gott sei Dank wissen wir nicht wie richtiges Reiten geht…
Auf einem Kurs waren zwei Schülerinnen, die eine war traurig, weil sie „nur“ drei fliegende Wechsel hintereinander reiten konnte, die andere war froh, einen einigermaßen runden Galopp hinzubekommen.
Oft ist es so, wenn Kursteilnehmer schon einiges können und bei einem Anfänger zuschauen, wünschen sie ihm, dass er sein Problem lösen kann. Das ist der Vorteil bei einem Reitkurs, sie denken positiv. Die Teilnehmer freuen sich ehrlich, wenn einer etwas geschafft hat, sie stehen manchmal sogar auf und applaudieren! Was sie dem Anfänger nicht sagen ist, dass dann schon das nächste Problem auf ihn wartet, aber eben auf einem höheren Niveau…
Das Pferd bekommt das Engagement und die Freude natürlich auch mit, stellt sich hin und sagt: „Toll“. Was gibt es Schöneres?
Ich habe so viele tolle Erlebnisse. Im Prinzip ist ja in jeder halben Stunde in so einem Kurs irgendetwas Positives dabei. Du bist zwar am Abend einfach müde, aber die Batterie ist aufgeladen. Was kann dir besseres passieren als wenn jede halbe Stunde einer zu dir kommt und sagt „das war toll“. Ich meine jetzt die Pferde, die kommen und „danke“ sagen…
Es gibt auch höfliche Menschen, die sagen „Das war gut“, meinen es aber nicht so. Ein Pferd sagt das nur , wenn es das auch wirklich meint. Das ist ein Geschenk, besser geht es gar nicht…
Das Pferd erkennt eben, dass Du ein Pferdemensch bist…
…danke für das Kompliment. Ihr wisst ja selber wie das ist, mit der Körpersprache mit der Ausstrahlung und dem was du dir denkst. Das Pferd läuft zum Beispiel auf dem Zirkel und du denkst „Da drüben soll es jetzt angaloppieren“. Dann galoppiert das Pferd. Warum? Weil es das gelesen hat. Das heißt du musst aufpassen, was du denkst. Dann wird dir klar, dass Du eigentlich den ganzen Tag positiv denken musst
und dann übernimmst du das.
Deshalb sehe ich alles optimistisch, das macht mir viel mehr Spaß als wenn ich alles negativ sehen würde. Darum lese ich auch keine Zeitungen, höre kein Radio und schaue auch nicht Fernsehen. Mir macht das Leben so viel mehr Spaß. Ich habe den ganzen Tag mit Pferden zu tun, oft zwölf bis sechzehn Stunden und ich bekomme sogar noch etwas dafür, um meine Familie zu ernähren.
Besser geht’s nicht!
Desmond, danke für das Interview: Das war toll!
Fotos: © privat