Wir warten auf ein Wunder, das uns dieses große Gefühl des Einsseins erleben lässt, schwebend mit unserem Pferd, über die Dinge gleitend als säßen wir auf Pegasus selbst. Es sind aber die kleinen Dinge, die die Grenzen durchbrechen.
Ein Pferd und sein Reiter in perfekter Harmonie, wie sie die schwierigsten Übungen der hohen Schule mit beinahe tänzerischer Leichtigkeit ausführen, als ob sie ein einziger Organismus wären … sie sind eins, in diesem Moment der höchsten Konzentration und der meisterlichen Perfektion.
Ein Reiterkrieger auf dem Rücken seines Pferdes, mit dem er verwachsen scheint … sie sind eins für die entsetzten Fußsoldaten und die einfachen Dorfbewohner, denen sie Angst und Schrecken und oft den Tod bringen. So sehr eins, dass Bilder wie der Kentauros entstehen, ein Wesen halb Mensch halb Pferd … eins geworden, ein Körper, ein Wille.
Ein Springturnier vor vielen Jahren, irgendwo in Österreich. Mein Onkel hat mich mitgenommen, ich hab nicht wirklich Freude daran. Mehr oder weniger gelangweilt schaue ich zu, wie ein Reiter nach dem anderen mehr oder weniger willige Pferde über die Hindernisse jagt. Schließlich betritt ein Paar den Platz, dass mir ein Schmunzeln entlockt. Keine gertenschlanke Reiterin mit kühnem Blick auf einem hochbeinigen, feinnervigen Springcrack, sondern ein kugelrundes Mädchen auf einem kugelrunden Pferd. Beide strahlen sie übers ganze Gesicht, wie sie so einreiten. Unterdrücktes Gelächter auf der Tribüne, ein paar geflüsterte, nicht besonders nette Kommentare. Die beiden im Parcour völlig unberührt davon, in ihrer kleinen Seifenblase aus Fröhlichkeit, springen eins-zwei-drei wie ein Gummiball vollkommen entspannt über ein Hindernis nach dem anderen. Es wird ganz still unter den Zuschauern. Als die beiden fertig sind, stehen die Menschen begeistert auf und applaudieren dem „seltsamen“ Paar, das so anders ist als all die anderen, das so berührt, weil es … eins ist, auf seine ureigenste Art, nicht beieindruckt davon, welche Chancen und Wahrscheinlichkeiten ihm von außerhalb eingeräumt werden.
EIN ALTER HAUDEGEN
Ein Pferd, mit dem ich arbeiten soll, ein alter Haudegen, dessen über alles geliebter Besitzer – ein ebenso alter Haudegen, wie man mir sagt – vor kurzem gestorben ist. Die Tochter, eine liebenswürdige, feinsinnige, ausgezeichnete Reiterin, hat das Pferd nun und sagt mir, dass sie „so überhaupt nicht zusammen kommen“. Das Pferd, ein Schimmel mit stolzem, hartem Ausdruck, schaut mich beinahe angeekelt an … mein Gott, noch so ’ne Tussi, die an mir herumtüddeln will…
Ich habe keinen Plan, lehne mich einfach an ihn an und versuche zu spüren, was mit ihm los ist, spüre seine Kraft, seinen Stolz, seine Trauer. Ein leichter Ruck geht durch seinen Körper, er dreht seinen Kopf zu mir, starrt mich an, starrt und starrt … ein tiefer Seufzer, der das ganze Pferd zu durchziehen scheint, er lässt den Kopf fallen, lehnt seinen Bauch ganz leicht gegen meinen Körper und wir werden still, ganz still …
Eine halbe Ewigkeit stehen wir so da, das fremde, stolze Pferd und ich, zutiefst verbunden … ein Herz, eine Energie, eine Seele.
Als ich mich schließlich aufrichte und umdrehe, sehe ich die Tränen, die aus den Augen seiner Besitzerin rollen, unablässig, eine nach der anderen, ein ruhiger Strom. Ich hab’s verstanden, sagt sie.
Der Schimmel wird seither wieder mit der groben Wurzelbürste geschrubbt, das Viereck sieht er nur noch im Vorbeigehen, wenn er bei Wind und Wetter, ganz egal, mit den Worten „Auf geht’s, mein Alter“ seinen Ausritt beginnt. Und wie sie sich so im Stechschritt aufmachen, der harte Bursche und seine sonst so sanfte Reiterin, die sich nur für ihn ein Quentchen militärischen Drill angeeignet hat, wie er ihn von seinem Herrn so viele Jahre lang gewohnt war, sind sie … eins geworden, irgendwie, verbunden in ihrer Liebe für einen alten Mann.
ES SIND DIE KLEINEN DINGE
Wir warten auf ein Wunder, dass uns dieses große Gefühl des Einsseins erleben lässt, schwebend mit unserem Pferd im Galopp, über die Dinge gleitend als säßen wir auf Pegasus selbst.
Es braucht nicht noch mehr Anstrengung, noch mehr Arbeit, noch mehr Können, um dahin zu gelangen.
Mehr innere Freiheit, mehr Raum, mehr Zeit, mehr … Berührbarkeit vielleicht.
Schau dein Pferd an, als ob Du es noch nie gesehen hättest. Schau ihm in die Augen und steh ganz still da und dann leg ihm deine Hand ganz sanft an den Hals, als ob du ein wildes Pferd das erste Mal berührst. Vielleicht kannst Du sie spüren, diese kleine Sekunde absoluten Gleichklangs, die der Baustein ist für all die großen Dinge, die wir sein können, wenn wir … eins sind.
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